Es sind wohl solche Schlagwörter, die Aufmerksamkeit wecken.
Wahrscheinlich sind es gerade diese Wörter, die eine blitzschnelle Reaktion
erfordern. Hinhören? Weghören? Diese Frage stellte sich mir nicht, als wir –
stimmungsgerecht begleitet von kaltem Nieselregen – aus dem Bus steigen. Ich
frage mich, ob es an diesem Ort sonnige Tage gibt. Wolkenlose Stunden. Es würde
sich wahrscheinlich falsch anfühlen, an einem Tag unter blitzblauem Himmel Geschichten
wie jene zu hören. Da war diese Frau, sie wohnte mit ihrer Familie nur einige
Meter vom Steinbruch entfernt. Der Geschichtenerzähler mit brauner Aktentasche
und ein paar wenigen Falten auf der Stirn las die Anzeige vor, die sie damals
an die Polizeidienststelle verfasste. Sie schrieb von „unzumutbarem Lärm“ den
man ihr, einer betagten, gebrechlichen Frau, nicht zumuten könne. Sie schrieb
von ihrem Wunsch einer Mauer, damit sie es nicht mitansehen müsse. Unverständnis.
Pures Unverständnis empfinde ich. „Egoistisch“, „auf den eigenen Vorteil
bedacht“, schoss mir durch den Kopf.
Diese Schlagwörter, auf welche ich bereits die ganze Zeit angespielt
habe, heißen „Konzentrationslager“. Heißen „Mauthausen“. Während der
Geschichtenerzähler weiter und weiter erzählt, beschreibt, anregt, versuche ich
zu verstehen. Zum Beispiel diese Frau. Oder diesen Bauern, der ebenfalls unweit
des Lagers wohnte und einzig seine eigenen Vorteile im Blick hatte. Oder all
diese Menschen, die bei einem Fußballspiel jubelten während dahinter hunderte
Gefangene einem grausamen Tod in die Augen schauten. Die Zahl wurde am Vortag
festgelegt.
Sechshundertdreiundsechzig. Minus sechshundert. Eins, zwei, drei, vier,
fünf… dreiundsechzig. Dieser Wille, dieses Klammern an eine Hoffnung, die
eigentlich nur mehr in der Fantasie existiert, erstaunt mich am Allermeisten. Ich
versuche, zu verstehen und bin doch kläglich daran gescheitert. Ich versuche,
mich hineinzuversetzen, in das Gefühl der Enge, der Angst, der Ungewissheit.
Und scheitere. In diesen Momenten ist alles so nah und doch bin ich so weit weg
von all diesen Schicksalen. Es sollte mir doch nahe gehen, denke ich, während
wir in dem Waschraum, in welchem die Häftlinge kahl geschoren wurden, stehen.
Das Einzige, was mich in diesem Moment bewegt, ist pures Unverständnis. Es
begleitet mich die ganze Zeit. Jeden einzelnen Schritt, den ich auf diesem
Platz mache, fühlt sich an wie Trampeln. An einem Ort, an dem ich durch Schreie
meiner Hilflosigkeit Ausdruck verleihen möchte, ist alles von ehrfürchtiger
Stille geprägt.
Die tausend weißen Buchstaben auf schwarzem Boden ergeben Namen. Hinter
jedem dieser Namen steckt eine Identität, eine Geschichte. Mein Blick fällt
immer wieder auf einzelne Namen und wieder komme ich der Versuchung nahe, in
meinen Gedanken ein Kopfkino spielen zu lassen. Als ich es verdrängen will,
mischen sich viele Gedanken dazu. War es genau diese Verdrängung einer wahren
Vorstellung, die viele Beteiligte dazu verleitet hat, narzisstisch zu handeln?
Der wohl beste Satz fällt am Ende, vor den offenen Toren einer
geschlossenen Geschichte. „Die Beschäftigung mit der Vergangenheit gibt uns die
Macht, unsere Zukunft beeinflussen zu können."
ad: Ein gutes Jahr ist es her, dass ich mit meiner Klasse Mauthausen besucht habe. Damals schrieb ich auch diesen Text für den Geschichte Unterricht. Er erschien mir immer zu trist, um ihn auf meinem Blog zu veröffentlichen. Dieser Tage kam er mir allerdings wieder ins Gedächtnis. Heute ist der zweite Adventsonntag und Wahltag für Österreich. Es erschien mir passend, diesen Text heute online zu stellen. Denn sich an die Vergangenheit zu erinnern, ist kein Übel, sich an die Vergangenheit zu klammern, jedoch schon.
Super geschrieben meine Liebe und du hast Recht mit deinem letzten Satz. ♥
AntwortenLöschenViele liebe Grüße,
Dani www.daninanaa.com